Es war nur sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Menschen lebten bescheiden und beengt in ihren Dörfern, viele hatten "Untermieter" – Flüchtlinge, Vertriebene aus dem Osten. In dieser Phase, die Bundesrepublik Deutschland bestand gerade mal zwei Jahre, und selbst ein solcher Optimist wie Ludwig Erhard wagte kaum an bevorstehenden Wohlstand zu denken, schritt Zinn zur Tat. Der Sozialdemokrat war im neu geschaffenen Bundesland Hessen schon ab 1946 Justizminister gewesen; am 14. Dezember 1950 wurde er Ministerpräsident – ein Amt, das er bis 1969 versah. Aber den Plan, den Großen Hessenplan, den hatte er schon zum Amtsantritt in der Tasche. Und der wurde umgehend verwirklicht.

Im Schwalm-Eder-Kreis entstand das erste Haus

Erster Nutznießer war die ganz oben im Norden im Schwalm-Eder-Kreis nahe Kassel liegende Gemeinde Edermünde, die heute ein Zusammenschluss der früher selbständigen Dörfer Haldorf, Besse, Grifte und Holzhausen ist. Hier, und zwar im Ortsteil Haldorf, wurde vor mehr als 60 Jahren das erste hessische Dorfgemeinschaftshaus (DGH) eingeweiht. Heute wird es schlicht beschrieben mit dem Hinweis, das DGH biete einen Saal mit 200 Sitzplätzen, der in zwei Räume teilbar ist. Außerdem verfüge das Haus über eine Küche, eine Theke, eine Bühne und eine Kegelbahn. Diese Beschreibung ist Ausdruck veränderter Rahmenbedingungen. Das war im Jahr 1951 noch anders. Damals wurde – um ein Beispiel zu nennen – ein Dorfgemeinschaftshaus mit weitaus umfänglicherem, damals notwendigerem Angebot offeriert: "Ein sehr gemütlich ausgestatteter Gemeinschaftsraum (Fernseher), eine Bibliothek, Wannenbad, Waschküche mit Maschinen, die sich der Einzelne nicht leisten kann, Trockenraum, Schlachtraum mit elektrischen Maschinen, Kühlraum, Gefrieranlagen, Vorratsraum, Backofen".

"Bürgerhäuser" in den Kleinstädten

So entwickelten sich die Dorfgemeinschaftshäuser – in Kleinstädten wurden es "Bürgerhäuser" – zu einem lebendigen Mittelpunkt des dörflichen Lebens; zugleich brachten sie Fortschritt und Modernität in den ländlichen Raum. Sieben Jahre nach dem Start dieses Großen Hessenplans wurde 1958 im hessischen Arnoldshain das 100. Dorfgemeinschaftshaus eingeweiht. 30 Jahre später lief die groß angelegte Aktion aus. Der Zweck war erfüllt.

Georg August Zinn, bis heute der hessische Ministerpräsident mit der längsten Amtszeit, der die hessische Landesverfassung wie auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mit formuliert hatte, war schon 1976, im Alter von 75 Jahren, gestorben. Aber die Erinnerung an diesen "Vater der Hessen" lebt weiter. Dies umso mehr, da Hessen schon längst keine Domäne der Sozialdemokraten mehr ist. Und die Frankfurter oder Kasselaner, also die aus den Metropolen – wie es Zinn oder dann Hans Eichel waren – nicht mehr die erste Geige spielen. Der amtierende Regierungschef Volker Bouffier stammt aus Gießen.

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